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Zusammenhalten - Grüne Positionen zur Sozialpolitik in Frankfurt

Mittwoch, 9.3.2022

Die Kreismitgliederversammlung beschließt:

Frankfurt ist eine der wirtschaftsstärksten Städte der Bundesrepublik und wohlhabend. Doch Frankfurt ist auch eine ungleiche Stadt. Hier leben Menschen, die am Wohlstand der Stadt nicht teilhaben. Sie leben in Armut oder auch in prekären Verhältnissen. Sie sind obdach- oder wohnungslos, Hass und Gewalt ausgesetzt und oft von Entscheidungen über ihre persönlichen Belange ausgeschlossen. Eine Teilhabe am sozialen, gesellschaftlichen und kulturellen Leben, an Bildung und an Freizeitaktivitäten ist nicht oder nur sehr eingeschränkt möglich. Diese Frankfurter*innen haben nur geringe Chancen auf ein selbstbestimmtes und gutes Leben. In Zeiten der Corona-Pandemie haben sich diese Verhältnisse zum Teil noch einmal verschärft.

Wir Grüne wollen das soziale Frankfurt so gestalten, dass sich jeder Mensch hier unabhängig von sozialem Status, von Geschlecht, Herkunft, Hautfarbe, körperlicher oder geistiger Beeinträchtigung, Weltanschauung, Religionszugehörigkeit und Alter entfalten kann und dass Frankfurts Wohlstand allen zugutekommt. Dafür sind alle Bürger*innen dieser Stadt verantwortlich, und dafür setzen wir auf eine wirkungsorientierte Sozialpolitik, die Menschen zusammenführt und auf diejenigen zugeht, die Unterstützung benötigen und suchen. Zusammenhalten fällt leichter, wenn sich alle zugehörig und gerecht behandelt fühlen, wenn sie geschützt und gefördert sind, wenn sie die Gesellschaft mitgestalten, Verantwortung übernehmen und am Wohlstand teilhaben können.

Aufgrund der Kriegsgeschehnisse in der Ukraine und unserer unbedingten Solidarität hat aktuell Priorität:

Geflüchtete aus der Ukraine unkompliziert aufnehmen

„Im Mittelpunkt unserer Politik steht der Mensch in seiner Würde und Freiheit.“, so lautet der erste Satz unseres Grünen Grundsatzprogramms. Das gilt angesichts des russischen Angriffes auf die Ukraine mehr denn je. Wir verurteilen diese völkerrechtswidrige Invasion auf das Schärfste, stehen solidarisch zusammen mit unseren ukrainischen Freund*innen und setzen auch auf Frankfurter Ebene Sanktionen konsequent um. Frankfurt hat sich zum sicheren Hafen erklärt und ist das auch für alle Menschen aus der Ukraine, die ihren Weg hierher finden. Wir nehmen sie unkompliziert auf, unterstützen sie in all ihren Belangen, öffnen Zugänge zu medizinischer und psychologischer Versorgung und begleiten sie auf ihrem weiteren Weg.

Die Stadt Frankfurt und die Region Rhein-Main werden der Zielpunkt vieler Menschen bei der Suche nach einer neuen Zukunft sein. In einer Vielzahl von Menschen handelt es sich derzeit bei den Geflüchteten um Frauen, Kinder und Senioren. Andere werden folgen. Wir entwickeln ein individualisiertes Leistungspaket für die speziellen Bedürfnisse und Interessen dieser Gruppen. Dazu werden wir diese Bedürfnisse und Interessen direkt bei den betroffenen Menschen erheben. Zusätzlich beinhaltet dieses u.a. Hilfestellungen für fehlende Kinderbetreuung und der Integration der Kinder in Kindergärten, Kindertagesstätten und Schulen. Wir helfen den Erwachsenen bei der schnellen Anerkennung von beruflichen, schulischen und universitären Qualifikationen durch eine städtische (oder regionale) Unterstützungsgruppe und unterstützen unmittelbar bei der Integration in den Arbeitsmarkt auch mittels Sprachförderung. Wir hoffen auf eine große Unterstützung der in Rhein-Main tätigen IT-Unternehmen, Serviceunternehmen und des Handwerks. Interessierten helfen wir bei der Gründung eigener Unternehmen und wir bauen einen Katalog von branchenspezifischen Trainings zur schnellen wirtschaftlichen Selbsthilfe in der Rhein-Main-Region auf.

Um die Sozialpolitik stärker in den Mittelpunkt zu stellen, bekräftigt der Kreisverband BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN Frankfurt die folgenden Positionen:

Die Folgen der Corona-Pandemie bewältigen

Unter den Einschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie haben neben den Senior*innen vor allem Kinder und Jugendliche gelitten. Sie konnten über lange Zeiträume nicht zur Kita oder Schule gehen und ihre Freund*innen treffen. Ihre sozialen Kontakte und ihre Bewegungsfreiheit wurden über zwei Jahre extrem eingeschränkt. Das führte zu Bildungslücken, hat aber vor allem für die emotionale Entwicklung und das soziale Lernen der Kinder und Jugendliche enorme Folgen – denn beide funktionieren nur über reale Begegnungen mit anderen. Das Sozialdezernat hat deshalb einen Aktionsplan „Corona“ ins Leben gerufen mit dem Ziel, für Kinder und Jugendliche mittel- und langfristig besondere Maßnahmen zur Förderung sozialer Kontakte und Interaktion, von Bewegung und von kultureller Teilhabe zu schaffen, um sie in ihrer emotionalen und sozialen Entwicklung zu stärken. An der Entwicklung des Corona-Aktionsplans wirken zahlreiche städtische Ämter und andere Akteure mit.

Faire Chancen für jedes Kind – Frankfurter Bündnis gegen Kinderarmut

Die Unterstützung von Kindern und Familien in Deutschland ist vielfältig. Dennoch lebt ungefähr jedes fünfte Kind – in Frankfurt im Jahr 2020 genau 17,7 Prozent der Kinder – unterhalb der Armutsgrenze. Vor allem bei Alleinerziehenden oder Geringverdienenden mit Kindern reicht das Geld oft nicht. Bei zahlreichen Familien kommen die Familienhilfe-Leistungen nicht an. Wir Grüne sagen: Kein Kind soll in Armut leben, Kinderarmut ist ein nicht hinnehmbarer Zustand in einem so reichen Land wie Deutschland und einer so wohlhabenden Stadt wie Frankfurt. Armut grenzt nicht nur von der Teilhabe am sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Leben aus, Armut macht auch krank und begrenzt Zukunftschancen. Damit Kinder gut aufwachsen, sich ausprobieren und sich inmitten der Gesellschaft entfalten können, braucht es eine effektive Struktur, die aus einer Kombination von starken und unterstützenden Kitas, Schulen und Jugendeinrichtungen sowie Geldleistungen bestehen muss. Das beste Mittel gegen Kinderarmut ist ein auskömmliches Einkommen der Eltern. Kinder sollen jedoch unabhängig von Herkunft und Geldbeutel der Eltern die Chance haben, auf einer gesicherten finanziellen Basis in ihr Leben zu starten. Wir begrüßen deshalb das Vorhaben der neuen Bundes-regierung sehr, eine Kindergrundsicherung einzuführen und starke Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Auf Frankfurter Ebene werden wir ergänzend die Kräfte von städtischen und zivilgesellschaftlichen Akteur*innen in einem „Frankfurter Bündnis gegen Kinderarmut“ bündeln. Es soll in den Quartieren, nah bei den Familien, niedrigschwellige Anlaufstellen mit Informationen und Beratung über alle Unterstützungsleistungen und –angebote etablieren. Diese Anlaufstellen können z.B. an Sozialrathäuser, Stadtteilbüros oder Gemeindezentren angedockt sein. Darüber hinaus wollen wir Angebote wie den pädagogischen Mittagstisch ausbauen, das Bildungs- und Teilhabeprogramm der Bundesregierung auf kommunaler Ebene unbürokratischer nutzbar machen und die Fachberatung für Alleinerziehende im Sozialamt personell stärken.

Frankfurt-Pass weiterentwickeln

Der Frankfurt-Pass ist ein Frankfurter Erfolgskonzept, das Menschen mit sehr geringem Einkommen mehr Teilhabe am gesellschaftlichen und kulturellen Leben ermöglicht. Die Einkommensgrenzen für den Frankfurt-Pass wollen wir jährlich an die Entwicklung der Lebenshaltungskosten anpassen und weiterhin dafür sorgen, dass Preiserhöhungen wie z.B. der Fahrpreise des RMV nicht eins zu eins an Frankfurt-Pass-Inhaber*innen weitergegeben werden. Mittelfristig wollen wir den Frankfurt-Pass digitalisieren, um ihn einfacher nutzbar zu machen, aber auch um die Option zu haben, ihn zu einem allgemeinen Frankfurter Bürger*innen-Pass weiterzuentwickeln, der Vergünstigungen und Rabatte für jede*n anbietet – für Menschen mit niedrigem Einkommen kostenlos, für andere gegen gestaffelte Kostenbeteiligung. Damit würden auch Stigmatisierungen beim Vorzeigen des Frankfurt-Passes künftig vermieden, weil nicht mehr ersichtlich ist, ob die/der Nutzer*in ihn erworben hat oder aber kostenlos zur Verfügung gestellt bekam.

Zukunft für Kinder und Jugendliche: offene und betreute Räume, Partizipation 

Wir halten an dem Anspruch fest, diejenigen zuverlässig zu unterstützen, die Unterstützung benötigen. Das gilt in besonderem Maße für Kinder und Jugendliche. Programme wie die „Frühen Hilfen“ haben sich bewährt und wir werden sie mit speziellen Angeboten für Kinder sucht- oder psychisch kranker bzw. pflegebedürftiger Eltern weiterentwickeln.

Die Infrastruktur der offenen Kinder- und Jugendhilfe in Frankfurt muss in der Fläche weiter bereitgestellt werden und mit dem Wachstum der Stadt mithalten - wir werden sie entsprechend quantitativ ausbauen. Wir werden sie aber auch qualitativ verbessern, z.B. mit pädagogischen Konzepten zur Gewaltprävention. Und wir wollen in einem partizipativen Prozess modellhaft neue Formen offener Räume für Kinder und Jugendliche entwickeln und erproben, die es ihnen ermöglichen, sich frei von Verzehrzwang, Anwohnerbeschwerden und pädagogischer Betreuung zu begegnen.

Wir Grüne setzen bei den Stärken und Interessen von Kindern und Jugendlichen an. Deshalb ist Partizipation die Basis von allem. Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche mitgestalten und mitbestimmen, wie ihre Welt aussieht – egal ob beim Spielplatzumbau oder im Jugendclub, bei der Verkehrsplanung im Quartier oder der Gestaltung kultureller Angebote. Kinder und Jugendliche wissen, was sie brauchen und haben ein Recht mitzureden. Dafür werden wir moderne, lebensweltbezogene Beteiligungsformate entwickeln insbesondere für Jugendliche, die im Rahmen üblicher Formate und Strukturen nicht erreicht werden.

Schutz von Mädchen und Frauen vor Gewalt

Sexismus, geschlechtsspezifischer Hass und Gewalt gegen Mädchen und Frauen sind Angriffe nicht nur auf die betroffenen Individuen, sondern Angriffe auf die Menschenwürde und eine Herausforderung für uns alle. Mit der Istanbul-Konvention des Europarats „zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt“ aus dem Jahr 2011 hat sich auch Deutschland zur Hilfe bei geschlechtsspezifischer Gewalt gegenüber Frauen und Mädchen verpflichtet. Wir werden in Frankfurt sicherstellen, dass die Strukturen sowohl für die akute Hilfe in Notlagen als auch für die Nachsorge gesichert und ausgebaut werden und diese Leistungen im Haushalt der Stadt Frankfurt zusammengefasst ausgewiesen werden. Die Strukturen sollen auch für besonders vulnerable Gruppen wie geflüchtete oder behinderte Frauen und Mädchen zugänglich und sensibel sein.

Die 2020 zusätzlich eingerichteten und seitdem durchgängig belegten Frauenhausplätze wollen wir erhalten. Dazu zählten erstmals auch pauschal finanzierte Plätze z.B. für geflüchtete Frauen, die (noch) keinen Anspruch auf Sozialleistungen haben.

Neben der Sicherstellung von Hilfen nach Gewaltvorfällen wollen wir in Frankfurt nun konzeptionell den nächsten Schritt tun und Täter stärker in die Verantwortung nehmen. Dazu werden wir Beratung für Täter häuslicher und sexueller Gewalt mit dem Ziel der Verhaltensänderung fördern und Präventionsangebote für potentiell gewaltbereite Personen etablieren. Außerdem sollen Beratungen für Mädchen und Frauen angeboten werden, die von Hass und Gewalt im Netz betroffen sind, und im Rahmen der Prävention von Gewalt an Mädchen und Frauen weiterhin Selbstverteidigungskurse angeboten werden.

Altern – aktiv, wertgeschätzt und unterstützt in der Gemeinschaft

Wir Grüne wollen allen Generationen in Frankfurt ein gutes Leben ermöglichen. Und wir wollen gleichermaßen einen generationenübergreifenden Zusammenhalt.

Ein Großteil der Senior*innen erlebt eine sehr aktive Phase bei guter Gesundheit. Darin steckt ein großes Potenzial für die Gesellschaft. Diese Gruppe ist sehr bunt und hat sehr unterschiedliche Bedürfnisse. Weiterhin gibt es ältere Menschen, die Unterstützung brauche um so an der Gemeinschaft teilhaben zu können. Wir wollen die Quartiere deshalb lebenswert und bedarfsgerecht für ältere Menschen gestalten, sodass bis ins hohe Alter Leben im vertrauten sozialen Umfeld möglich ist. Dazu gehören wohnortnahe Einkaufsmöglichkeiten, öffentliche Toiletten, Bänke und Sitzgelegenheiten, neue Wohnformen, mehr geförderte Senior*innen-wohnungen, kultursensible ambulante Pflege, aufsuchende Suchtberatung und Nachbarschaftshilfe vor Ort.

Der Dramatik der Situation in der Pflege ist im Rahmen der Corona-Pandemie überdeutlich geworden. Für Maßnahmen, die spürbar die Arbeitsbedingungen der Pflegekräfte verbessern und dem Fachkräftemangel begegnen, ist vorrangig der Bund zuständig, für die Lohngestaltung sind es die Tarifpartner. Wir wollen dennoch in Frankfurt alle Möglichkeiten ausschöpfen und in Zusammenarbeit mit den relevanten Akteuer*innen eruieren, wie der Pflegestandort Frankfurt attraktiver gemacht und eine Fachkräfteoffensive gemeinsam gestaltet werden könnten.

Wohnraum und Perspektiven aus der Obdachlosigkeit schaffen

Frankfurt hat ein breit gefächertes, komplexes Hilfesystem für obdach- und wohnungslose Menschen. Die Angebote reichen vom Kältebus über Winterübernachtungsmöglichkeiten in der B-Ebene am Eschenheimer Tor und Notunterkünfte bis zu Übergangswohnheimen und Betreutem Wohnen. Zusätzlich gibt es zahlreiche Unterkünfte für geflüchtete Menschen. Insbesondere die Großunterkünfte für Geflüchtete sollen in den nächsten Jahren aufgelöst werden. Dafür müssen Grundstücke und Gebäude gefunden werden, auf denen gebaut oder die umgebaut werden können. Das gerade im Bund verabschiedete Bauland-Mobilisierungs-Gesetz bietet dafür Chancen.

Das Gesamtsystem der Obdach- und Wohnungslosenhilfe schauen wir genau daraufhin an, für welche Zielgruppe und mit welchem Konzept ein „Housing First“-Projekt eine sinnvolle Ergänzung sein kann. Ebenso prüfen wir, ob ein Boardinghouse für bestimmte Gruppen von Obdach- oder Wohnungslosen ein geeignetes Angebot darstellen könnte.

Beschlussinformationen:
88% Zustimmung, 3% Ablehnung, 8% Enthaltung