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Rede zum Koalitionsantrag "Arbeitsbedingungen in der Pflege verbessern"

Donnerstag, 22.6.2023

Sehr geehrte*r Stadtverordnetenvorsteher*in, meine Damen und Herren!

Nach aktuellen Angaben bleiben Fachkräfte der Altenpflege 8,4 Jahre im erlernten Beruf und in der Krankenpflege 13,7 Jahre, inklusive Ausbildung.

Die Krankentage in der Altenpflege sind aktuell bei 32 Fehltagen angelangt, also gut einen Monat; und in der Krankenpflege sind sie mit 27,5 Fehltagen nicht weit darunter.

Diese etwas trockenen Zahlen sollten wir im Bewusstsein haben, wenn wir an den Fachkräftemangel und die damit immer weiter sich steigernde Not in der Pflegeversorgung denken.

Ein aktuelles Beispiel aus der Praxis:

Frau B., 92 Jahre alt, die sich bis zum heutigen Tage völlig autark versorgte, wurde wegen eines ungeklärten Schwächeanfalls in die Klinik gebracht. Sie soll das Bett nicht allein verlassen. Sie ist klar orientiert und gut ansprechbar. Im Laufe des Tages möchte sie auf die Toilette und klingelt.

10 Minuten später schaut die Schwester schnell zur Tür herein und ruft: „Ich komme gleich Frau B.!"

1 Stunde später. Frau B. klingelt erneut! Kurze Zeit später ruft die Schwester: „Bin gleich bei Ihnen!"

Nach einer weiteren halben Stunde klingelt Frau B. zum dritten Mal. Kurz darauf kommt die Schwester endlich ins Zimmer.

„Entschuldigung“, ruft sie noch beim Hereinkommen, und dann „oh jeh…“

Still vor sich hin weinend liegt Frau B. im Bett. Sie schämt sich. Was für eine Demütigung, hilflos in den eigenen Ausscheidungen zu liegen. Sie ist verzweifelt. So möchte sie nicht mehr Leben. Doch für ihre Not bleibt kaum Zeit. Beim Säubern, einige liebe Worte, dann ist sie wieder allein.

Doch auch die Krankenschwester ist verzweifelt, schon seit Jahren.

Vierzehn Jahre lang hat sie alles ausprobiert, gesucht, ob es ihr gelingen könnte im geliebten Beruf, Anspruch und Wirklichkeit in Übereinstimmung zu bringen. Sie arbeitete in der Altenpflege, Notaufnahme, Intensivstation und in der Behindertenpflege. Schließlich als sogenannte „Springerin“, um wenigstens verlässlich für die Kolleg*innen als Vertretung da zu sein. Immer waren alle überlastet. Überstunden normal, die Zeit reichte nie, um das „Wichtigste“ richtig zu tun, geschweige denn das menschennotwendige zu leisten, den Sterbenden beizustehen, den Verzweifelten Hoffnung zu geben und zuzuhören in der Not. Es reichte nicht mal mehr zu „satt und sauber“ wie man so sagt. Der ständig von Jahr zu Jahr steigende bürokratische Aufwand beanspruchte viel Zeit, die bei den Patient*innen fehlte.

Diese Krankenschwester hat den Beruf nach vierzehn Jahren aufgegeben und arbeitet nun als ungelernte Hilfskraft in der Baubranche im Maler- und Trockenbau. Das Gehalt ist gleich wie das der Krankenschwester. Die Arbeitszeit klar geregelt, kein Schichtdienst, um den Papierkram kümmert sich der Chef. Es gibt wieder ein Privatleben.

Wir als Gesellschaft aber haben eine gute Krankenschwester voller Tatkraft verloren. Und sie ist nicht die Einzige. Leider!

Mit einem Pilotprojekt zur 4-Tage-Woche wollen wir einen Versuch starten, auch diesen ausgestiegenen Pflegekräften ein Angebot zu machen, um sie zurückzuholen in den Pflegeberuf.

Ich weiß, der heutige Antrag ist nur ein kleiner kommunal erbrachter Baustein, ein Versuch, herauszufinden was sich verbessern würde in der Pflege. Rechtliche, finanzielle, personelle und organisatorische Probleme sollen erkannt und benannt werden, um Lösungen zu erarbeiten. Dabei soll ermittelt werden, welchen Beitrag die 4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich zur Lösung der existentiellen Zukunftsprobleme in der Langzeitpflege leisten kann - oder ob das nur ein frommer Wunsch ist.

Ich möchte hier zum Schluss einen Dank aussprechen an ALLE Menschen, die sich tagtäglich, unter schwierigsten Umständen, um eine gute Pflege bemühen. Mein Dank geht gleichfalls an diejenigen, welche als Angehörige und Betroffene unermüdlich versuchen das Beste aus diesem anhaltenden Dilemma in der Pflege zu machen.

Wir brauchen dringend eine Änderung des Systems in der Pflege, strukturell und finanziell! Und zwar schnell! Das können wir leider nicht leisten mit unserem Antrag.

Deswegen noch einen Gruß an Herrn Lauterbach nach Berlin!

Bitte verbessern Sie die gesetzlichen Grundlagen und bringen sie die Pflegereform schnellstens voran! Eine „4-Tage-Woche bei vollem Lohnausgleich“ würde den Pflegeberuf enorm aufwerten, vielleicht können Sie das ja noch einbauen?

Ich danke Ihnen.

 

Den Antrag der Koalition aus GRÜNE im Römer, SPD, FDP und Volt kann hier eingesehen werden.