Es bleibt viel zu tun.
Liebe Freundinnen und Freunde,
Sebastian hat vergangene Woche treffend geschrieben: Unser Fairness- und Awarenesskodex ist ein Fortschritt – aber eben kein Selbstläufer. Diese Woche haben wir uns mit Vorstandsmitgliedern und unserer Beauftragten gegen Sexismus getroffen, um Bilanz zu ziehen: Wie weit sind wir mit dem Sexismuskodex?
Die ehrliche Antwort: Es bleibt viel zu tun.
Noch immer ist vielen von uns nicht klar, wo Sexismus beginnt und selbst wenn Klarheit darüber besteht, brauchen wir dennoch verlässliche Strukturen, nach denen wir handeln. Es geht eben nicht nur um körperliche Gewalt. Was sind unangemessene Kommentare, was strukturelle Benachteiligung, was bereits sexualisierte Gewalt – und wo fängt das Strafrecht an? Fakt ist: Junge Frauen werden bei Kandidaturen häufig auf ihr Alter oder vermeintlich fehlende Erfahrung reduziert. Bei jungen Männern ist das eher die Ausnahme.
Aktuell sehen wir das auch am Umgang mit Jette Nietzard. Sicher, sie hat einen Fehler gemacht. Aber rechtfertigt das wirklich den öffentlichen und parteiinternen Umgang mit ihr? Wie gehen wir mit jungen, weiblichen Menschen in unserer Partei um – insbesondere, wenn sie Fehler machen, aber auch Verantwortung übernehmen? Ich will ihr Verhalten keineswegs herunterspielen, aber ist die Reaktion gerechtfertigt, wenn sich Teile der Regierung bewusst über ein Gerichtsurteil hinwegsetzen, nur um ein Wahlversprechen umzusetzen, bei dem sie damals schon wussten, dass die Zurückweisungen gegen Europarecht verstoßen. Die Reaktion darauf ist vergleichsweise milde und Rücktrittsforderungen gibt es nicht. Bleibt die Frage, ob dies auch der Fall wäre, wenn es statt Dobrint und Merz um eine Frau ginge.
Damit zurück zum eigentlichen Thema: Gerade bei Wahlen und Kandidaturen lassen wir uns leicht instrumentalisieren. Statt Konflikte direkt zu klären, entstehen Lager, kursieren anonyme Briefe – wie zuletzt in Darmstadt. Der Schaden ist jedes Mal groß: für Einzelne, deren Ruf leidet, und für die Partei, deren Glaubwürdigkeit als solidarische Organisation untergraben wird.
Unser Appell an Frankfurt: Wollen wir dieselben Fehler machen? Können wir für Kandidierende werben, ohne andere dabei anzugreifen? Im Vorfeld der Vorstandswahl am 14. Juni und den Kommunalwahl-Listenaufstellungen im November haben wir die Chance, es anders zu machen – klarer, fairer, aufrichtiger. Nicht perfekt, aber verantwortlich.
Der Sexismuskodex - wie auch der Fairness- und Awareness-Kodex - ist kein Papier für die Schublade. Er ist ein Auftrag: Für Strukturen, die Diskriminierung erkennen und benennen. Für eine Kultur, die nicht mit zweierlei Maß misst. Für ein Miteinander, das Fehler zulässt – ohne Menschen fallen zu lassen.
Wir sind nicht unfehlbar. Aber wir sind lernfähig. Lasst uns das beweisen.
Mit solidarischen Grüßen,
Eure Julia,
Vorstandssprecherin